- Die Frage
Die hier erörterte Frage soll in direkter Weise an die diese Veranstaltung
anleitenden Fragestellungen anknüpfen: Auf welche Art und unter welchen
Bedingungen wird ethnographisches Wissen über das "Innenleben von
Organisationen" erzeugt? Welche spezifische Qualität lässt
ethnographisches Wissen aus der Perspektive betrieblicher Akteure als attraktive
Ressource erscheinen? Wie wird dieses ethnographische Wissen in der Organisationsberatung
eingesetzt?
Seit nun gut anderthalb Jahren als ein - in Neudeutsch sogenannter Consultant
einer global tätigen Beratungsfirma im Feld der Managementberatung tätig,
habe ich diese Fragen für mich folgendermaßen, und ebenfalls Neudeutsch
versetzt, zugespitzt: Was weiß oder kann ein Ethnograph, das ihn als
Organisations- bzw. Managementberater für Kunden interessant macht?
Es geht mir mithin um eine Spurensuche nach Geeignetheiten und im folgenden
um die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschieden zwischen dem, was Berater
Beratung und was Ethnographenie im "Innenleben der Organisation" leisten,
tun, was sie produzieren und unter welchen Umständen sie dies tun. Dabei
gestatte ich es mir, auf meine subjektiven und persönlichen biographischen
Erfahrungen als Consultant und Ethnograph in international tätigen Organisationen
(Zorzi 1999) zurückzugreifen. Dies sei vermerkt bedeutet, dass hier mit
dem Fokus auf Management-Consulting und meinen Erfahrungen als Ethnograph
in international tätigen Organisationen nur eine sehr beschränkte
Perspektive repräsentiert wird. Ich möchte dies an dieser Stelle
einführen, wenn im folgenden vielleicht etwas all zu allgemein und zu
pauschal von "Dder Beratung" oder "Dder Ethnographie"
gesprochen wird.
- Ein Vorschlag
Was könnte es sein, dass eine kann es also sein, dass die Ethnographin
oder den einen Ethnographen für einen betrieblichen Akteur, also einen
Rat suchenden und dafür zahlungsbereiten Kunden, von besonderem Wert
erscheinen lässt? Sollte es einfach ""ethnographisches Wissen""
sein, das sich kapitalisieren liesse? Aber was wäre denn damit nun wieder
gemeint?Die von den Veranstaltern eingeführten Leitfragen implizieren,
dass es einen solchen Wert gibt bzw. regen zur Suche danach an und machen
gleich auch einen Vorschlag, was dieser Wert sein könnte: "Ethnographisches
Wissen".
Um ehrlich zu sein, ich bin etwas zurückgeschreckt vor diesem etwas
unheimlich anmutenden Begriff. Was mag damit gemeint sein? Wissen um eine
Methode, Wissen um den Einsatz von Instrumenten der Feldforschung, theoretisches
Wissen um die Beschaffenheit von Kultur oder eben des "Innenlebens von
Organisationen" ein Ausdruck, der die Metapher der Organisation als
lebenden Organismus impliziert, dessen Innenleben man, Chirurgen ähnlich,
mit speziellem Instrumentarium und (akademischem) Wissen erforschen kann?
Statt das "ethnographische Wissen" zu untersuchen, schlage ich
vor, zum Zwecke der angekündigten Spurensuche nach den Gemeinsamkeiten
von und Differenzen zwischen Beratung bzw. dem was Berater tun und Ethnographie
bzw. dem was Ethnographen tun, die jeweilige Situation des Beraters und Ethnographen,
deren Praxis des Umgangs damit sowie die Ergebnisse dieses Tuns zu betrachten.
(inwiefern sich dies mit dem Begriff "ethnographisches Wissen" in
Verbindung bringen lässt, kann ja mit Gegenstand der anschliessenden
Diskussion sein)
- Situation und Praxis
Dies gesagt, stellt sich sogleich die Notwendigkeit der Klärung dessen,
was unter einer Situation und was unter Praxis zu verstehen sein soll. Mit
grossem Dank bediene ich mich hierbei den zusammenfassenden Ausführungen
von Achim Brosziewski (2000), der eben diese Klärungen als zentrale und
durchaus problembehaftete theoretische Klippen in der Bestimmung dessen darstellt,
was den ein Text überhaupt zu einer Ethnographie mache. Ist es doch die
Aufgabe des Ethnographen sich in eine Situation der teilnehmenden Beobachtung
im Feld zu begeben und dort seine Beobachtungen und Aufzeichnungen zu machen.
Und aus soziologischer Perspektive, egal ob handlungstheoretischer oder systemtheoretischer
Provinienz, nimmt die Bestimmung dessen was eine Situation ist vorrangige
Bedeutung ein: Ohne Situationsbegriff kein Handlung- und auch kein Beobachtungsbegriff.
Die zentrale Bedeutung dessen was als Situation (geschweige denn als soziale
Situation) und als Praxis zu gelten hat zeigt sich auch im Umstand, dass die
entsprechenden Fragen in den Sozialwissenschaften keineswegs als gelöst
betrachtet werden können. Auch hier werden diese nicht gelöst. Aber
es lassen sich in den unterschiedlichsten sozialwissenschaftlichen Strömungen
doch gewisse gemeinsame Aspekte finden, die hier als Arbeitsgrundlage dienen
sollen. Der Situationsbegriff ist grundsätzlich immer ein Zeitbegriff
und somit stets mit Endlichkeit, einem Horizont (Gadamer 1990), versehen.
Eine Situation ist somit eine bestimmte Dauer, jedoch nicht im chronologisch
messbaren Sinne, die sich im wesentlichen von zwei anderen Zeiten unterscheidet:
Von der Zeit dessen, was auch noch die Situation überdauert,
und von der Zeit dessen, was in der Situation nicht andauert,
was sich in ihr ändert oder in ihr ändern läßt. Nur im
Blick auf die Zeit des Überdauerns, können die Gegebenheiten einer
Situation, eine Ausgangslage, von den Folgen einer Situation unterschieden
werden. Sehr kurz abgefasst lässt sich somit sagen, daß Situationen
durch die Differenz von konstant und variabel bestimmt werden, und erst dadurch
als bestimmte Situationen erkennbar werden, daß ein Handeln eine
bestimmte Variabilität markiert und "alles andere" im Moment außer
acht läßt.
Mit "Praxis" ist ein Handeln gemeint, dessen Sinn ganz in sich
selbst liegt und das zu seiner Ausführung weder der Gründe noch
Motive bedarf (was die alte Wortbedeutung von "Praxis" ist). Ein
solches Handeln ist aus einer theoretischen Perspektive natürlich eine
ziemlich suspekte Sache, denn in der Theorie lässt sich alles befragen.
Doch praktisch gesehen ist es in vielem so, dass Leute fraglos handeln:
Sie tun was sie tun und nichts anderes und haben gleich wie die anderen
um sie herum i.d.R. absolut keine Probleme damit. In einem solchen Feld
der Fraglosigkeit bietet sich eine besondere, mitunter ur-soziologische Reflexion
an: Die Reflexion des Selbstverständlichen (Brosziewski & Maeder
1998: 4). Diese kommt ihrerseits allerdings nur zustande, wenn ihr das Selbstverständliche
unverständlich erscheint. Die in diesem Zusammenhang zu nennenden begrifflichen
Korrelate sind diejenigen der Kultur (das Selbstverständliche) und des
Fremden (das Aufbrechen des Selbstverständlichen).
Um was es im folgenden eigentlich gehen sollte, wäre gewissermassen
eine Ethnographie von einerseits Ethnographen und andererseits Beratern, verstanden
als die jeweiligen Ethnos unterschiedlicher Stämme, die, so die Hypothese,
erhebliche komplementäre Potentiale aufweisen würden und somit alle
beide von grossem Interesse für Rat suchende betriebliche Akteure wären.
Der Konjunktiv ist bewusst gewählt, denn ein solches Unterfangen, so
spannend es letztlich auch wäre, sprengt bei weitem meine Möglichkeiten.
Demzufolge ist es lediglich eine Spurensuche, Fragmente, denen im folgenden
nachgegangen wird, die uns einige vorsichtige Anhaltspunkte liefern können,
was Ethnographen und Berater verbindet und trennt.
- Amerika und die Öffentlichkeit
Beginnen wir mit einigen übergreifenden Beobachtungen. Es ist interessant
festzustellen, dass sowohl die Unternehmensberatung bzw. das Management-Consulting
(wie ganz allgemein Management und die akademische Managementlehre an sich)
als auch die moderne Ethnographie U.S.-amerikanische Erfindungen sind und
beides in einem unauflöslichen Verhältnis zu Öffentlichkeit
steht. Brosziewski (2000) bringt das Verhältnis von Beratung und Öffentlichkeit
auf den Punkt in dem er die Paradoxie formuliert: "Das Geheimnis der
Beratung ist ihre Öffentlichkeit". In ihr spiegelt sich jene irritierende
Verbindung von intensiver, intimer und vertrauensabhängiger Kommunikation
hie und extensiver, allgemeinverbindlicher Präsenz da mithin die Spannung
zwischen vertraulichen Einsichten in interne Zusammenhänge und weithin
veröffentlichten Aussagen und damit verbundener öffentlicher Präsenz,
die den Erfolg von Beratungstätigkeit ausmacht. Aber auch den Erfolg
von Ethnographie. Denn ist dieser nicht gerade darin begründet, "hier"
glaubhaft aufzeigen zu können, dass man wirklich "dort" gewesen
ist, indem man so detailliert und intim wie nur immer möglich die Fremde
einzufangen sucht und versucht den natives point of view einzunehmen,
auf dass der geneigte Leser die Welt durch die Augen des Einheimischen, des
Ethnos, wahrnehmen kann? Und eben: wahrnehmen kann, d.h. dass ob all
der Fremde und Exotik das Geschriebene noch lesbar, d.h. die Öffentlichkeit
noch erreichbar, das Geschriebene irgendwie verstehbar ist. Produkt von Ethnographie
betreiben ist schließlich eine veröffentlichte Monographie, die
gelesen werden soll.
Die spannungsgeladene Übersetzung von intimen und vertraulichen Detailkenntnissen
in, der Öffentlichkeit zumutbare und von dieser auch aufnehmbare, allgemeine
Aussagen, soll als erstes Fragment der Gemeinsamkeiten zwischen Beratung und
Ethnographie dienen.
- Erfolg und Kultur
Eine der frappantesten Gemeinsamkeiten in der Praxis von Ethnographen und
Beratern ist ihr Interesse an Formen des Erfolgs und des Scheiterns. Dies
bedarf natürlich einiger erläuternder Bemerkungen, v.a. mit Bezug
auf die Praxis von Ethnographen. Im Bereich der betriebswirtschaftlichen Beratungs-
und Managementliteratur dürfte der Sachverhalt eher unproblematisch sein,
dreht sich doch seit Benjamin Franklins Zeiten alles darum, Ratschläge
für die erfolgreiche Praxis unternehmerischen Handelns an die nachfolgende
Generation weiterzugeben. Im weitesten Sinn geht es dabei darum, aus gemachter
Erfahrung allgemeingültige Schlussfolgerungen für künftigen
Erfolg abzuleiten. Häufig vorfindbare Formen sind dabei die klassische
(Unternehmer-) Biographie, Umfrageanalysen (Peters &
Waterman 1982), oder aber detaillierte Beobachtungsstudien (Mintzberg1973).
Dabei kommen grundsätzlich das ganze Spektrum ethnographischer Techniken,
v.a. natürlich das Interview und die teilnehmende Beobachtung, zum Einsatz.
Interessanter jedoch als die Techniken und Methoden, über deren Einsatz
i.d.R. sowieso nicht berichtet wird, ist daszeigt sich ein grundlegendes Vorgehensmuster,
aus erzählten Geschichten und beobachtetem Verhalten Gesetzmässigkeiten
und Regeln für ein erfolgreiches und kompetentes unternehmerisches Handeln
und in impliziter Weise auch Warnungen vor dem Scheitern abzuleiten.
Für die Ethnographie kann dieser Sachverhalt sehr ähnlich dargestellt
werden. Natürlich geht es dabei um den schillernden und, dem Erfolg nicht
unähnlich, seltsam ungreifbaren Begriff "Kultur". Die hier
in den Raum gestellte Parallele von Kultur und Erfolg leitet sich aus der
kognitiven Auffassung der Ethnoscience um Ward H. Goodenough (1956,
1957, 1971) ab, in der Kultur bzw. Mitgliedschaft von den Akteuren durch soziale
Praxis erst gegenseitig angezeigt und interpretiert werden muss. Goodenough
definiert Kultur als alles, "was man wissen oder glauben muss, um in
einer Weise handeln zu können, die von den Angehörigen der Kultur
akzeptiert wird, und zwar in jeder Rolle, die für jeden Kulturangehörigen
akzeptiert wird [...] Es geht um die Ordnung der Dinge in den Köpfen
der Menschen, um die Modelle der Wahrnehmung und der Deutung, die von ihnen
gehandhabt werden" (Goodenough, 1957; zitiert in Psathas 1973: 265).
"Kultur" wird somit als ein Wissenssystem kompetent Handelnder,
mithin als ein mentales System in den Köpfen der Leute begriffen,
das vergangene Erfahrungen ordnet und als Mittel zur Organisation und Interpretation
neuer Erfahrungen dient. Kultur als mentales System impliziert wiederum, dass
Gemeinschaft bzw. kulturelle Zugehörigkeit etwas ist, dass nicht von
vornherein gegeben ist (Kultur "im Blut", oder "in den Genen"
steckt, oder rein durch die Internalisierung sozialer Normen und Werte prägend
wirkt), sondern das durch soziale Praxis eben ständig und andauernd
hergestellt werden muss. Der in seiner Gesamtheit hier als Kultur bezeichnete
subjektive Wissensvorrat von Akteuren muss somit jeweils situativ und kontextspezifisch
durch die erfolgreiche Praxis von Sprachgebrauch, Verhalten, Gestik
und Handlung externalisiert werden, wobei es sich jeweils nur um kleinste
Facetten des individuell verfügbaren mentalen Systems handelt. Hierbei
spielt die Formulierung des erfolgreich bzw. kompetent Handelnden
eine zentrale Rolle: Denn Zugehörigkeit und Mitgliedschaft konstituiert
sich in dieser Perspektive eben nicht durch schicksalsgegebene Stammeszugehörigkeit,
Verwandtschaft oder Nationalität, sondern eben im kompetenten,
d.h. schnellen, richtigen und sicheren Zugriff auf jene relevanten Wissensbestände
Alltagstheorien, Konzepte, Begrifflichkeiten, Spielregeln, Verhaltensweisen
und Gesten die in ihrem Bestehen, ihrer Verwendung und ihrer kontextgebundenen
Bedeutung die Abgrenzungen von Kultur konstituieren (Maeder & Brosziewski
1997: 347). Diese Abgrenzungen haben in der sozialen Praxis der sie herstellenden
bzw. reproduzierenden Akteure äusserst relevante und "harte"
Konsequenzen. Sie schaffen über Alltagstheorien und mentale Modelle eben
nicht "nur" Ordnung in den Köpfen der Leute, sondern auch eine
verbindliche Ordnung in sozialen Situationen und den sie strukturierenden
Kontexten. Wer die Regeln bricht, in Frage stellt oder sie nicht genügend
beherrscht was andauernd und überall passiert muss mit Widerstand
und Repression rechnen und setzt sich der Gefahr des Scheiterns aus.
Mit der Annahme, dass sich die Mitglieder einer Kultur ihre Mitgliedschaft
andauernd gegenseitig anzeigen und versichern, indem sie die jeweils relevanten
Ordnungen kommunikativ objektivieren und reproduzieren, wird klar, dass auch
der fremde Beobachter die Standards, Regeln, Orientierungen und Theorien einer
Kultur, die sich über solche semantische Beziehungen erschließen,
beobachten und erlernen kann. Kultur ist zwar als ein kognitives System in
den Köpfen der Leute, doch sie muss in sozialer Praxis gelebt
und reproduziert werden. Sie ist beobachtbar und erlernbar. Erfolg ist beobachtbar
und erlernbar.
Gerüstet mit diesem Wissen, den entsprechenden Instrumenten und dem
know-how über deren Einsatz im Feld scheint es so, als ob Ethnographen
rein durch die Stossrichtung ihres Forschungsinteresses gewissermaßen
prädestiniert sind um als Organisationsberater und Autoren von Managementliteratur
erfolgreich zu sein.
- Die gemeinsame Differenz von Wissen & Nicht-Wissen
(Widerstand & Macht)
Weiteres gemeinsames Element in der Praxis von Beratern und Ethnographen
ist die besondere Differenz von Wissen und Nicht-Wissen: Dem Nicht-Wissen
des Beratenen bzw. des Befragten und Beobachteten über sich selbst, sein
eigenes Wissen, seine Möglichkeiten und Grenzen (Brosziewski 2000: 9;
mit Verweis auf Freud und Machiavelli). Und dies ist kein Gegensatz zum oben
Gesagten über das Interesse am Erfolg. Das Typische an der unternehmerischen
Erfolgsgeschichte ist ja, dass es eine rückblickend konstruierte Geschichte
ist und der endgültige Beweis für die Richtigkeit der angegebenen
Erfolgsregeln in der Zukunft liegt ein wohl nicht zu unterschätzender
Faktor für den langjährigen Boom der Management- und Beratungsliteratur
(es wäre fatal für die Branche, würde man tatsächlich
das Ei des Kolumbus finden).
In der Gegenwart nimmt sich die Situation des Beratenen wie auch die Situation
des Befragten und Beobachteten jedoch i.d.R. so aus, dass dieser zwar jede
Menge weiß, er aber nicht weiß, dass er es weiß bzw. er
dieses Wissen nicht explizieren kann, oder aber er sich nicht sicher ist,
ob die Dinge, über die er weiß, dass er sie weiß, tatsächlich
richtig sind.
In der Ethnographie ist der Topos des tacit knowledge, des impliziten
Wissens bzw. des stillschweigenden Charakters von Kultur, eben ihrer lebensweltlichen
Selbstverständlichkeit, von zentraler Bedeutung. Die obige Rede über
Der Begriff "Praxis", verstanden als selbstverständliches,
nicht reflektiertes Tun, bezieht sich genau auf diesen Sachverhalt. Geht es
dem Ethnographen doch gerade darum diese stillschweigenden Selbstverständlichkeiten
aufzubrechen und zu explizieren und somit das Material zu bergen, das ihm
erlaubt Kultur bzw. sein Konstrukt davon zu beschreiben. Als methodische Haltung
wird dem Ethnographen allenthalben diejenige der künstlichen Dummheit,
der naiven Fragerei angeraten (natürlich hat auch die Ethnographie inzwischen
selber ihre eigene Beratung).
Ganz ähnlich erlebe ich den Berater, zumindest in einer bestimmten Phase
eines Projektes: Nämlich dann, wenn es darum geht den Kunden (also den
betrieblichen Akteur) dazu zu bewegen, zu explizieren, um was es gehen soll,
was er tut und wie er dies tut. Gerade die ethnographische Erfahrung lehrt
hier, dass dies ein sehr schwieriger Prozess sein kann. Zu explizieren was
man als alltägliche Selbstverständlichkeit tut ist schwierig genug.
Hinzu kommt die latente Bedrohung, die in der Tatsache liegt, dies gegenüber
einer externen Person zu tun und eventuell begründen zu müssen,
weshalb man tut was man tut bzw. die Art und Weise zu rechtfertigen, wie man
etwas tut.
Denn der Berater weiß wohl nicht um die konkreten Gegebenheiten, aber
der Verdacht der ihn auf Schritt und Tritt begleitet ist natürlich, dass
er weiß, wie man es besser, oder gleich am besten macht. Die Reaktion
darauf ist weitläufig bekannt und stellt einen durchgehenden Topos in
der Beratungsliteratur dar: Der Widerstand gegen die Beratung. Und dieser,
so die logische Schlussfolgerung (aber auch meine eigene Erfahrung) ist umso
größer je mehr die Beratenen bzw. Befragten wissen. Die Experten,
die fachlichen Leiter, sind oftmals die eigentlichen Knacknüsse im Beratungsprozess,
aber auch im Prozess der ethnographischen Datensammlung. Gelingt einem der
Zugang zu diesen Leuten, so hat man gute Chancen auf eine erfolgreiche Beratung
und auf reichhaltiges Datenmaterial. Interessanterweise kommt dem Berater
hier sein Status in der Öffentlichkeit (i.d.R. der Bekanntheitsgrad und
die Reputation seiner Firma) und die Höhe seines Honorars zu Gute: Je
berühmter und teurer die Beratung, desto eher kann auch der fachliche
Experte akzeptieren, dass es der Berater tatsächlich besser weiß.
Und eigentlich trifft dies auch auf den Ethnographen zu. Zumindest stellte
sich in meiner persönlichen ethnographischen Erfahrung die Inszenierung
meiner Zugehörigkeit zu prominenten akademischen Institutionen als äußerst
hilfreich und schützend heraus: Sie gab mir die Narrenfreiheit die seltsamen
Fragen zu stellen und Dinge zu tun die Ethnographen tun, die für niemanden
wirklich sinnvoll zu sein schienen, ohne dass ich rausgeworfen wurde.
- Die Kunst, die Kenntnis und die Zeit
Ob all dieser Gemeinsamkeiten stellt sich die Frage, ob es überhaupt
Unterschiede zwischen dem was Berater und dem was Ethnographen tun, gibt.
Das soeben Gesagte verdeutlicht ja, dass selbst der Berater zuweilen mit der
"typisch ethnographischen" Einstellung des "ich weiß
gar nichts" operiert. Dennoch stellt sich ein grundlegender Unterschied
ein, der sich aus der Aufgabe beider Akteure ergibt: Ein Ethnograph sammelt
Daten aus dem Feld um eine Beschreibung zu liefernleisten. Ein Berater sammelt
Daten aus dem Feld um herauszufinden was überhaupt das Problem seines
Kunden sein könnte und gibt dann Rat.
Beide Akteure verwenden somit gänzlich unterschiedliche Ressourcen:
Während der Ethnograph von seiner Kunst und ich erlaube mir trotz aller
Methoden es als Kunst zu bezeichnen der Interpretation seines Datenmaterials
lebt, bedient sich der Berater einer anderen Ressource: Seiner Kenntnis von
Fällen. Wiederum stellt sich bei der Beratung hier die Bedeutung ihrer
Öffentlichkeit in den Vordergrund: Zu wissen, wie die Dinge in anderen
vergleichbaren Fällen getan, gelöst, gemanagt werden. Gerade nicht
die Vertrautheit mit der lokalen Situation bei einem Kunden macht seine Attraktivität
für diesen aus, der ja schließlich irgendeine Beratung auf dem
wuchernden Beratungsmarkt wählen muss, sondern sein Bekanntheitsgrad
in der Öffentlichkeit seine Größe, die Anzahl seiner bekannten
Kunden, die Dauer, die er im Geschäft ist etc. und damit gekoppelt
eben auch das Maß seines abstrakten, verallgemeinerbaren Wissens.
Im Beraterjargon gibt es einen native term, der dieses verallgemeinerbare
Wissen umfasst:sind dies die berühmt berüchtigten benchmarks.
Es gibt benchmarks für alles auf der Welt den Preis einer Transaktion,
die Dauer einer Handlung, die Anzahl Personen für einen Job, die Liste
ist unendlich und ein guter Berater zeichnet sich dadurch aus, dass er immer
eine benchmark zur Hand hat. Nicht irgendeine benchmark notabene,
sondern am besten benchmarks die von etablierten benchmark-Lieferanten
wie die Gartner Group, Forrester Research und wie sie alle heissen, geliefert
oder zumindest beglaubigt sind. Längst gibt es auch schon benchmarks
für benchmarks.
Der Bezug auf so unterschiedliche Ressourcen wie klinisches Fallwissen hie
und die Kunst der Interpretation filigranen Datenmaterials da wirft ein interessantes
Licht auf die Rolle des Verstehens des konkreten Falls, der Kenntnis der konkreten
detaillierten Umstände eines Kunden in der Beratung. Oder anders gesagt:
Wie wird mit den benchmarks umgegangen? Weshalb können sich Beratungsfirmen
überhaupt halten, wenn es doch etablierte benchmark-Lieferanten
auf dem globalen Markt gibt?
Die Antwort liegt darin begründet, dass es in der Beratung eben gerade
nicht darum geht nur klinisches Fallwissen weiterzugeben. Und die Beratung
setzt alles daran, nicht in diese Rolle des Fallwissens- bzw. Erfolgsrezeptelieferanten
gedrängt zu werden. Es ist dies eine paradoxe Situation, die sich in
direkter Weise aus der obigen Aussage ableitet, dass der Erfolg von Beratung
in ihrer Öffentlichkeit liegt. Die Auflösung besteht darin, dass
Erfolgsrezepte, Fallwissen oder die Geschichten vom Erfolg an sich stets abgekoppelt
von den konkreten Umständen sind. Die Aufgabe des Beraters besteht deshalb
gerade darin, einem Ethnographen gleich, zunächst mit einer Einstellung
des absoluten Nicht-Wissens beim Kunden aufzutreten, zu beobachten, zuzuhören
und zu fragen, um herauszufinden, wie denn die konkreten Umstände in
diesem Fall beschaffen sind, damit sein Fallwissen überhaupt greifen
kann. Oder anders gesagt: Der Berater muss zuerst verstehen, um sodann
in einem zweiten Schritt vor dem Hintergrund seines klinischen Fallwissens
entscheiden zu können, wo er die konkreten und spezifischen Umstände
akzeptieren und wo er sie abzulehnen hat.
AB: Folgender Absatz ist zwar sehr interessant (Info aus dem Feld!), aber
im Sinne der Kürzung wäre er verzichtbar - anders gesagt: durch
seine Streichung ginge nur eine Illustration, nicht aber ein Argument verloren:
Dies ist die Praxis des Beraters. Es ist dies eine heikle Inszenierung zwischen
einem sehr umfassenden Fallwissen hie und der "ethnographischen Unbeschriebenheit"
da. Eine Ambiguität zwischen Expertenschaft und naiver Unwissenheit.
Denn gerade Experten sind Berater ja nicht. Denn Experten zeichnen sich im
Unterschied zu Beratern dadurch aus, dass sie eben keinerlei Rücksichten
auf die Befindlichkeiten der lokalen Umstände zu nehmen haben. Wie gesagt,
sucht man es in der Beratung denn auch zu vermeiden, in diese Rolle gedrängt
zu werden. Und auch hierfür gibt es einen native term: Bodyshopping.
Bodyshopping bedeutet, dass Berater von einem Kunden nur zum Zwecke
ganz präzis definierter Tätigkeiten eingekauft werden und die weiteren
konkreten Umstände des Beratenen dabei eben keine Rolle mehr spielen.
Wie es die Semantik des Begriffs eigentlich sehr schön zum Ausdruck bringt,
ist bodyshopping eine etwas hässliche Angelegenheit: Der Kunde
kauft dann keine denkenden und fühlenden Menschen, v.a. keine gleichberechtigten
Partner, sondern lediglich bodies, leblose Körper, gezüchteten
Spezialisten gleich, ein. Es überrascht nicht, dass bodyshopping
in Beratungskreisen, die etwas auf sich halten, verpönt ist. Und es ist
ökonomisch gefährlich. Denn bodyshopping bedeutet auch, dass
Berater als commodity, d.h. einem Rohstoff gleich eingekauft werden.
Es ist nicht mehr Rat der gefragt ist sondern lediglich technisches oder anderwertiges
Spezialwissen. Und auf das darf man sich als Berater nicht reduzieren lassen,
sonst ist man keiner mehr.
Und da wir hier von den Ressourcen sprechen, noch ein Wort zur Zeit: Dies
ist wohl die gemeinsame Ressource des Ethnographen als auch des Beraters (wobei
ich als Ethnograph meinem Empfinden nach über entschieden mehr Zeit verfügen
konnte als jetzt, was in diesem Fall zur Last der Veranstalter und meines
Kommentators wurde, wofür ich mich an dieser Stelle nochmals entschuldigen
möchte). Beide haben für das Zeit, für das die im Alltagsbetrieb
meist völlig ausgelasteten Mitarbeitern jegliche Zeit fehlt. Berater
verschaffen ihren Kunden Zeit. Und auch dies hat seinen stolzen Preis.
- Die Bedeutung der Hinterbühne
Mit dem Goffmanschen Begriff der Hinterbühne (Goffman 1991) soll versuchsweise
an das angeschlossen werden was von den Organisatoren dieser Veranstaltung
wohl als das "Innenleben" der Organisation bezeichnet wird. Hinterbühnen
sind Orte wo man Ethnographen begegnet zumindest wollen diese in der Regel
dort hin: Küchen und Werkstätten in Gefängnissen, Kaffee- und
Raucherecken in Betrieben, Bartheken, aber auch die Büros von Führungsleuten.
Alle möglichen Orte können zu Hinterbühnen werden. Es sind
also nicht die Orte an sich. Vielmehr ist es, was dort passiert: Die Theatermetapher
der Hinterbühne sowie die biologische des Innenlebens implizieren beide,
dass dies Orte sind, wo etwas "wirklich" , so wie "es"
wirklich ist, geschieht, wo das ausgesprochen wird, was die Leute wirklich
denken, wo sich "die Wahrheit zeigt, wo die wahren Interessen und Machtverhältnisse
gezeigt werden. Dies im Gegensatz zur Vorderbühne oder dann eben dem
Aussenleben, wo künstliche Dinge, Inszenierungen, nicht das "Wahre
Leben" geschehen und beobachtbar sind.
Sowohl Beratung als auch Ethnographie spielen sich auf den Hinterbühnen
von Organisationen ab. Der Grund für das Interesse des Ethnographen an
der Hinterbühne der Organisation und den Aufenthalt des Beraters dort
sind Vertrauen und Vertrautheit. Beide müssen sich mit den konkreten
Umständen ihres Betätigungsfeldes vertraut machen. Der Ethnograph
braucht das Vertrauen seiner Informanten damit sie sich ihm öffnen, ihn
teilhaben lassen und ihm somit die Gelegenheit zu lernen bzw. zur Sammlung
seines Datenmaterials geben. Ähnlich gelagert stellt sich die Situation
für den Berater. Auch er braucht das Vertrauen seines Kunden. Denn sein
Geschäft besteht darin Rat zu geben. Guten Rat. Und als Kommunikationsform
ist Rat ja bekanntlicherweise eine ziemlich heikle Angelegenheit, man könnte
sagen, eine "harte" Form der Kommunikation. Nicht umsonst heisst
es Rat-Schläge erteilen. Ein Ratschlag kann nicht einfach jedermann
erteilen, zu viel steht in der Regel auf dem Spiel: Selbstinszenierung, Gesicht,
Image, Status, Autorität (vgl. Goffman 1996). Gerade für exponierte
Führungskräfte also ein wahres Minenfeld.
Die Praxis der Beratung besteht darin in diesem Minenfeld zu manövrieren.
Wiederum kommt ihr dabei die Öffentlichkeit bzw. die Reputation in der
Öffentlichkeit und ihr Wissen um Öffentliches zu gute. Denn Rat
geben ist eine Sache von Reziprozität und man nimmt den Berater nur dann
als Ratgeber wahr, wenn er das entsprechende Gewicht als Person in die Interaktionssituation
hineingeben kann, wenn er als Ratgeber glaubwürdig ist. Verhandelt wird
denn i.d.R. auch zwischen Personen gleicher Hierarchiestufen und hinter verschlossenen
Türen, den Hinterbühnen der eigenen Organisation. So gesehen sind
die Hinterbühnen der Organisation nicht nur der Ort wo die Dinge "wirklich"
sind, sondern es sind auch Orte des Schutzes für die Beratenen, Orte,
wo es taktvoll möglich ist ihnen Rat zu geben ohne dass ihr Image beschädigt
wird. Es ist eine interessante Kombination von Widerstand, Takt und Offenheit,
die erfolgreiche Beratung ausmacht (Brosziewski 2000). Die Praxis der Beratung
zeichnet sich in dieser Kombination durch ein spielerisches hin und her zwischen
den genannten Elementen, zwischen Öffentlichkeit und Offenheit hie und
Vertrautheit, Exklusivität und Takt da aus.
AB: Wie oben: Illustration, wirklich informativ, aber kein neues Argument:
Eine klassische Anekdote unter Beratern thematisiert einen groben Fehler
in diesem Spiel: Man arbeitet sich in einen konkreten Fall bei einem Kunden
ein und präsentiert in der Folge seine ersten Ergebnisse. Wie so oft
kommen dabei Folien bzw. Schaubilder zur Verwendung, die bereits bei einem
anderen Kunden benutzt worden sind. Der unverzeihliche faux-pas besteht
nun darin, dass bspw. das Firmen-Logo, Namen oder sonstige eindeutige Erkennungsmerkmale
der vorgängigen Verwendung sichtbar sind. Der dadurch entstandene Schaden
in der Beziehung zwischen Berater und Kunden ist gravierend: Die auf den schützenden
Hinterbühnen aufgebaute Vertrautheit und das Vertrauen zwischen Berater
und Kunden ist beschädigt und somit auch die Grundlage für den teueren
Rat.
- Die Fremde, die Irritation und der Umgang damit
Die Situation, in der sich sowohl der Ethnograph als auch der Berater befinden,
ist zunächst und grundsätzlich eine der Fremde. Beide begeben sich
in ein Feld, dessen genauere Umstände ihnen nicht bekannt sind. Es ist
unvertrautes Gelände, dass es zu erkunden gilt. Der Ethnograph verwendet
als Ressource seine Fähigkeit der Interpretation des gesammelten Datenmaterials,
der Berater stützt sich auf seine breite Fallkenntnis ab. Doch beide
sind in einer Situation, die für sie als Betroffene durch Fremdheit sowie
der Ambiguität zwischen einem Verstehen und einem sich auf die konkreten
Umstände Einlassen hie und der Arroganz diesen Umständen gegenüber
da geprägt ist. Es ist dies eine Arroganz, eine gewisse Unempfindlichkeit,
eine Widerständigkeit der Praxis, die sich zwangsläufig aus dem
Auftrag Rat zu geben bzw. Autorenschaft zu übernehmen ergibt.
Beide müssen sich auf die Fremde einlassen, und beide dürfen sich
nicht in ihr verlieren um ihre jeweiligen Aufträge erfolgreich zu erfüllen.
Die Irritation, die sowohl Ethnograph als auch Berater im Feld, aber auch
bei sich selber auslösen, dient als wichtiges Instrument und zugleich
als zuverlässige Warnanlage. Beginne ich mich als Ethnograph im Feld
wohl und zuhause zu fühlen, so müssen alle Alarmlämpchen anfangen
zu blinken, denn dies bedeutet, dass ich meine notwendige ethnographische
Distanz verloren habe, die zur Beobachtung und Befragung notwendig ist. Dasselbe
gilt für den Berater. Was dem Ethnographen als methodisch eingesetztes
Instrument der Aufbrechung von Selbstverständlichkeiten dient und ihm
somit sein Material der Beschreibung eröffnet, dient dem Berater als
Grundlage für die glaubwürdige Inszenierung als Ratgeber und change
agent, als Agent der Veränderung. Wurden bislang die Kunst der Interpretation
und die Fallkenntnis als distinkte Ressourcen von Ethnograph und Berater erwähnt,
so zeigt sich hier eine zentrale gemeinsame Ressource: Das Aussen, der Status
als Fremder und die damit einhergehende Irritation der beratenen bzw. beobachteten
Akteure.
Innerhalb der Ethnographie besteht ein umfassender Satz an Anleitungen wie
mit dieser Ressource im ethnographischen Kontext erfolgreich, d.h. in zur
Erstellung eines ethnographischen Berichts geeigneter Weise umzugehen ist.
Sehr stark vereinfacht gesagt geht es darum eine Ordnung zu verstehen, zu
dokumentieren und zu beschreiben (und darüber hinaus auch noch zu dokumentieren
wie man all dies getan hat) eine Ordnung, die der Ordnung der Dinge in den
Köpfen der Menschen die man beobachtet und befragt entspricht und die
durch ihre alltägliche Praxis im Feld beobachtbar ist. Und um diese Beschreibung
zu ermöglichen muss die Distanz zum Beschriebenen immer wieder hergestellt
werden.
Nochmals abstrahiert geht es als sowohl dem Ethnographen als auch dem Berater
somit darum, in die Fremde zu gehen und dort fremd zu bleiben, sich einschleichende
Vertrautheiten (auch eigene) aufzuspüren und sofort zu hinterfragen,
die selbstgebastelten Ordnungsmodelle immer wieder dem groben Test des Feldes
respektive der Praxis auszusetzen, sie umzustürzen und immer wieder neu
anzufangen.
Auf den Punkt gebracht: Beide müssen unter Einsatz ihrer und fremder
Wirklichkeits- und Ordnuugngsmodelle Zu spielen.
- Schluss: Bei-Spieler
In meiner Suche nach zentralen Gemeinsamkeiten zwischen Ethnographie und Beratung
ist es dieses Spiel, die heikle Wechselwirkung, die Ambivalenz in der Situation
beider Akteure von gleichzeitiger Fremde und Vertautheit, dieses spielerische
Hin und Her, in dem sich beide so ähnlich sind. Denn während der Ethnograph
die Fähigkeit entwickeln muss zwischen möglichst vollständiger
Immersion im Feld und abstrahierender Analytik hin und her zu wechseln um in
erfolgreicher Weise seinen Bericht zu verfassen, so muss der Berater mit einer
ähnlichen Ambivalenz umzugehen wissen: Der Ambivalenz von detaillierter
Kenntnis der konkreten Umstände des Kunden hie und der Anwendung seines
breiten, klinischen Fallwissens da. Dies impliziert, dass in der Praxis die
Beratung oftmals arrogant und "kalt" daherkommt. Am eigenen Leib habe
ich erfahren, dass die Aufrechterhaltung der Differenz zum Kunden, die Herausforderung
seiner lokalen, konkreten Praxis mit dem klinischen Fallwissen den benchmarks
in der konkreten Interaktionssituation zwar äusserst unangenehm sein
kann, aber schliesslich den eigentlichen Wert der Anwesenheit des Beraters beim
Kunden für letzteren darstellt. Dasselbe, so wage ich zu behaupten, gilt
für den Ethnographen.
Und während das Produkt ethnographischen Schaffens der ethnographische
Bericht ist, der, getreu der allgemeinen Anforderungen an diese Textform, zu
zeigen hat was er beschreibt, indem illustrative Beispiele eingefügt sind,
besteht das Produkt der beratenden Praxis im Rat, meist in Form einer Präsentation
bzw. ihren Schaubildern, oder eines Textes, die sich ihrerseits auf die klinischen
Fallbeispiele abstützen.
So lässt sich formulieren, dass eine interessante Gemeinsamkeit von ethnographischem
und beratendem Tun auf der Ebene der Ergebnisse dieses Tuns in der kompetenten
Handhabung von Beispielen liegt. Und in einer gewissen Übersetzung zeigt
sich darin auch das Spiel mit der Ambiguität der Situation von beiden:
Die spielerische Aufrechterhaltung der Befremdung als zentrale Ressource, einerseits
zur Aufrechterhaltung der Glaubwürdigkeit, andererseits zur Aktivierung
des Anschlusses an die jeweiligen Ressourcen: Fallkenntnis und Interpretationskunst.
Trotz dieser grundsätzlichen Gemeinsamkeit bleibt zu bemerken, dass der
Umgang mit Beispielen von Ethnograph und Berater gewissermaßen in "entgegengesetzter
Richtung" läuft: Während der Ethnograph Beispiele als Ergebnis
seiner Arbeit quasi von innen nach außen trägt, indem er die Typik
gewisser Dinge in seinem Bericht der Öffentlichkeit möglichst greifbar
darstellen möchte (und dabei zugleich anzeigen kann, dass er wirklich "dort"
gewesen ist), bringt der Berater seine Beispiele, das klinische Fallwissen,
von außen nach innen. Die Gemeinsamkeit liegt in der Fähigkeit, diesen
Brückenschlag, diese Übersetzung, diese Anschlussfähigkeit erfolgreich
zu realisieren.
Dazu müssen sowohl Ethnograph als auch Berater immer auch fremd und bedrohlich
sein. Sie dürfen diese Attribute nicht verlieren. Im ethnographischen Kontext
stellt sich hierbei ein interessanter Bezug auf ein umfassendes Verstehen, der
vielbeschworenen Immersion des Ethnographen im Feld ein: Das Verstehen des konkreten
Falles, der konkreten Umstände des Feldes, der Beweggründe und Perspektiven
der Informanten ist lediglich der erste Schritt. Es ist dies lediglich eine
Vorbedingung für die Möglichkeit der Entscheidung zwischen Akzeptanz
und Ablehnung. Für den Ethnographen stellt sich diese Entscheidung insofern
in einer doppelten und durchaus auch existenziellen Art und Weise, als dass
er sich für die Datenanalyse ganz bewusst in die von Alfred Schütz
(1993) beschriebene besondere Einstellung des verstehend verfahrenen Sozialwissenschaftlers
begibt, für den es nur ein Verstehen im Sinne einer möglichst umfassenden
Akzeptanz gibt. Danach muss es ihm jedoch wieder gelingen in seine normale,
lebesweltliche Einstellung zurückzukehren. Ansonsten geschieht das, was
im ethnographischen Jargon das Verkaffern bzw. das going native des Ethnographen
genannt wird. Passiert dies, so verliert der Ethnograph seine Fähigkeit
zu beschreiben. Er verliert die Distanz zu seinem Gegenstand der Beschreibung
und es wird ihm nicht mehr möglich sein mit seinem Geschriebenen bei seinem
Publikum anschlußfähig zu sein.
Um abschliessend und in direkter Weise auf die diese Veranstaltung anleitenden
Fragen zu antworten: Die Fähigkeit die Fremde auszuhalten, fremd zu bleiben
und dennoch die Anschlußfähigkeit nicht zu verlieren, ist eine Kernkompetenz
des Ethnographen. Diese Kompetenz würde sich meiner Meinung nach v.a. für
eine spezifische Form der Beratung eignen: Der Beratung all jener Organisationen,
deren Akteure genau vor derdieser Herausforderung stehen fremd in der Fremde
zu bleiben. Und dies wären Beratungsfirmen selbst sowie international operierende
Firmen, deren Führungskräfte über den Globus verstreut tätig
sind. Hinzu kommt das genuine Interesse an Erfolg und Scheitern sowie die Zeit
als wertvolle Ressourcen ethnographischer Praxis.
Und dabei könnte die ethnographische Beratung der Beratung bzw. des sogenannten
interkulturellen Managements eine Menge von ihren Informanten lernen, v.a. deren
publizierter Selbstdarstellung, der Inszenierung ihres Anschlusses an eine renommierte
Öffentlichkeit, wie bspw. akademische Institutionen, sowie ihres ökonomischen
Wertes. Denn guter Rat ist bekanntlich teuer.