Katharina Peters
Alltag der Reformen – Potentiale ethnographischer Organisationsberatung durch distanzierte Reflexivierung
Einleitung
Das Ausrufen von Reformen ist die große Stunde
der Politik und auch die Stunde der Unternehmensberatungen. Das Beenden von
Reformen ist hingegen eine vergleichsweise leise Angelegenheit. Es beschäftigt
vor allem die Mitarbeiterschaft in den betroffenen öffentlichen Verwaltungen.
Unlängst klagte ein Mitarbeiter des Berliner Innenministeriums,
er wüßte gerne, wann man die Reform, die jetzt knapp 10 Jahre liefe,
endlich für beendet erklären könne.
Um einer solchen Frage entgegenzukommen, müssen
die Verlaufsformen der Reform reflektiert werden. In diesem Vortrag geht es
nicht darum, in politischer Hinsicht über Erfolg und Misserfolg an der
Oberfläche der Reform zu urteilen. Etwa in dem Sinne: Globalsummen sind
eingeführt, Verwaltungsprodukte sind definiert, Qualitätsmanagement
ist im Aufbau befindlich etc. Vielmehr soll ein Ausschnitt der Reform als Teil
der alltäglichen Arbeit dargestellt werden. Es wird reflektiert, in welcher
Form dies geschieht und welche ersten Wirkungen sich entfalten.
Mein Vortrag ist darauf konzentriert, ein Konzept ethnographischer
Reformbegleitung vorzustellen. Mit ihm wird es möglich, der Schlagseite
planungswissenschaftlicher Ansätze für die guten, richtigen und modernen
Reformen einen Ansatz gegenüberzustellen, der danach fragt, was Reformmodelle
eigentlich vor Ort jenseits der Pläne auslösen.
Im folgenden werde ich kurz den Forschungsgegenstand
skizzieren, dann einen chronologischen Abriss der Einführung des untersuchten
Reformelementes geben und schließlich eine ethnographische Perspektive
auf den beobachteten Reformabschnitt entwickeln. Abschließend ziehe ich
Schlussfolgerungen für die Organisationsberatung.
Forschungsgegenstand
Das Reformpacket, das in deutschen Kommunal- und zunehmend
auch Landes- und Bundesverwaltungen eingeführt wird nennt sich ‚Neues Steuerungsmodell’.
Sein Kerngedanke ist es, betriebswirtschaftliche Organisationsideen auf den
Kontext öffentlicher Verwaltungen zu übertragen. Der Stadtstaat, in
dem die Reformeinführung beobachtet wird, ist Berlin. Über Berlins
katastrophale Finanzlage ist seit der Wende viel geschrieben worden. Die Reform
ist eine politische Antwort auf diese Situation. Mit ihr sollen mittelfristig
wirtschaftlich tragfähigere Strukturen etabliert werden. Mitten aus dieser
Zeit der Umstrukturierungen, aus den Jahren 1997 und 1998, stammen meine teilnehmenden
Beobachtungen zur Einführung sogenannter Globalsummen, eines Reformelementes,
auf das ich noch eingehen werde. Die Einführung von Globalsummen habe ich
durch teilnehmende Beobachtung in Großraumbüros und Ein-Personen-Amtstuben,
bei Besprechungen, Beratungsgesprächen und Krisensitzungen begleitet, ich
habe Telefonate mitgehört und Akten studiert, sowie Interviews gemacht.
Fallbeispiel Globalsummen
Das hier behandelte Fallbeispiel ist die Einführung
sogenannter Globalsummen. Globalsummen sind fixe Geldsummen, die in diesem Beispiel
für das Personal jedes Berliner Ministeriums auf ein Jahr festlegen, was
insgesamt ausgeben darf. In der Vergangenheit wurden Personalkosten als Durchschnittssätze
für so viele Stellen errechnet, wie das Parlament der jeweiligen Fachverwaltung
bewilligt hat. Brauchte die Fachverwaltung mehr, als die Durchschnittssätze
pauschal vorsahen, wurde ihr das zusätzliche Geld zur Verfügung gestellt,
brauchte sie weniger, floß das Geld zurück. Nun entsteht für
die Fachverwaltungen im Unterschied zu früher eine eigene Finanzverantwortung.
Sie muss wissen, wieviel ihr Personal kostet, und woraus sich die Kosten im
einzelnen ergeben, damit sie mit der Globalsumme wirtschaften kann.
Ankündigung
Der Polizeibehörde wird mitgeteilt, wie hoch
ihre Globalsumme entsprechend eines für alle Landesverwaltungen einheitlichen
Kostenschlüssels sein wird.
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Einschätzung der Lage
Um einschätzen zu können, ob dies Geld
reicht, erstellt die Behörde eine eigene Hochrechnung. Dazu werden
die bisher in verschiedenen Abteilungen verwalteten Personaldaten provisorisch
zusammengeführt. Erste Kalkulationen ergeben, dass die Globalsumme
unter keinen Umständen reichen wird. Dies teilt die Behörde
dem Ministerium mit. Als Begründung führt sie die Kostenintensivität
des Polizeipersonals im Vergleich mit anderen Verwaltungen an.
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Vorab-Verhandlung
Das Ministerium eröffnet die Möglichkeit,
dass die Bemessung der Globalsumme auf der Grundlage der beklagten Sonderkosten
am Ende des ersten Globalsummenjahres nachverhandelt werden können.
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unklare Zukunft
Für die Haushälter der Polizeibehörde
bleibt damit unklar, was ihr Spielraum zum Wirtschaften ist. Es gibt keine
Sicherheit dafür, welche Kosten, auch wenn sie nachweisbar sind,
am Ende des Jahres nachfinanziert werden, es bleibt unklar, was Überschüsse
oder ein Minus am Ende des Jahres für das Folgejahr bedeuten.
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vorübergehende Wirtschaft
Die Polizeibehörde wirtschaftet trotz Erwartung
eines Defizits weiter wie bisher (Einstellungen, Beförderungen).
Sie rechnet mit einer Nachzahlung am Ende des Jahres.
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im-Laufe-des-Jahres
Von Monat zu Monat wird in der Behörde die
elektronische Kostenermittlung für Personalkosten weiterentwickelt.
Sie zeigt, dass die negativen Prognosen der Behörde sich nicht bewarheiten
bzw. dass ein Potential an bisher finanzierten, aber nicht besetzten Stellen
besteht, das die kostenintensive Personalstruktur 'auffängt'. Dieses
Polster wird durch parlamentarisch verordnete Stellenstreichungen allmählich
abgebaut, so dass die Behörde nach wie vor Bedarf darin sieht, einen
spezifischen Kostenschlüssel für die Personalkosten der Polizei
einzuführen.
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neu-Verhandlungen
Auf diese Forderung reagieren Innen– und Finanzministerium
nicht für das laufende und das kommende Jahr.
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Die Globalsummen sind eingeführt, aber die Bedingungen
ihrer Bemessung sind dauerhaft in Verhandlung. Auch ist die Zuverlässigkeit
der Globalsummenwirtschaft noch nicht gegeben. Immer wieder wird die Globalsummenwirtschaft
durch Haushaltsstops unterbrochen, in denen die Behörde ihre neue Finanzautonomie
an Innen- und Finanzministerium abgeben muss.
Soweit die Skizzierung des Reformverlaufes.
Perspektivwechsel
Viele Verwaltungswissenschaftler gehen auf die mangelnden
Voraussetzungen für das Zustandekommen der in den Modellen vorgesehenen
Ergebnisse ein. Ich hingegen verstehe den Verlauf dieser Reform als etwas 'total
Normales', als erfolgreichen Einbau neuer Ideen in bestehende Strukturen. Reformen
werden nicht als plan- und steuerbare Ereignisse untersucht, sondern als live-Experiment,
das eine bestehende Praxis, wenn auch nicht so wie geplant, so doch auf jeden
Fall verändert. Gerade in dieser Beobachtung steckt das Beratungspotential
für Verwaltungsmitarbeiter: Es lässt sich zeigen, wie die Idee der
Globalsummen in bestehende Verhandlungen eingeflochten wird und damit eine gewachsene
Praxis des Feilschens und Verhandelns um die Ressourcenzuteilung verändert.
Dies wird im folgenden an der Darstellung von Budgetierung
als einem traditionsreichen 'Spiel' veranschaulicht. Zwei (oder auch mehr) Spielparteien
kämpfen um knappe Ressourcen. Dazu bedienen sie sich verschiedene Spielregeln.
Reformen treten als neue Potentiale auf, mit denen sich Spielregeln verändern,
neu etablieren, unterfüttern lassen, ablösen etc..
Ich werde in diesem Rahmen nur einen kleinen Ausschnitt
der Dynamik anhand von fünf Spielregeln vorstellen.
Budgetierungsspiel
Die Runde dauert ein Jahr
Eine der Basis-Regeln in der staatlichen
Budgetierung ist diejenige, dass die Spielrunde ein Jahr dauert. An der oben
dargestellten Geschichte sehen wir, dass die Verhandlungen um die Bemessung
der Globalsumme vor der Verabschiedung stattfinden und alle weiteren Verhandlungen
nicht vor Ende des Jahres Auswirkungen zeigen. Die Bedeutung des Jahres als
Spielrunde wird auch an folgendem Beispiel deutlich:
Nach einem Jahr Globalsummenwirtschaft
hält ein Mitarbeiter im Innenministerium während eines Interviews
Rückschau über die Entwicklung bei der Polizeibehörde: "Die
Mondzahlen der Behörde haben sich relativiert. Anstelle von 75 Millionen
DM Defizit, die am Anfang prognostiziert wurden, ist am Ende ein Plus von
10 Millionen DM herausgekommen." Um sicher zu gehen, dass es sich mit den
Zahlen so und nicht anders verhält, zieht der Sachbearbeiter die entsprechende
Akte hinzu. Anhand derer referiert er die Finanzentwicklung noch einmal in
Monaten: Im April wurden noch 25 Millionen DM Defizit prognostiziert, dann
gingen die Zahlen runter, im Juli waren es dann nochmal 37 Millionen DM, ab
da gingen sie schon wieder runter. Im September kam ein Brief von der Behörde,
sie würden ihr Budget um sechs Millionen DM überschreiten. Da haben
wir nur drüber gelächelt".
Auch wenn während des Jahres monatlich
Kostenauswertungen und Prognosen Bedeutung beigemessen wird, haben diese Zwischenschritte,
etwa im Unterschied zur Börse, keine unmittelbaren Auswirkungen auf die
Geldbemessung. Die Jährlichkeit gilt den Spielparteien, in unserem Fall
dem Innenministerium und der Polizeibehörde als Zeitrahmen für die
Verhandlungen um die Budgethöhe. Dieser Zeitrahmen wird unterschiedlich
genutzt: Von seiten der Polizeibehörde wird die Regel der Jährlichkeit
genutzt, um in diesem Zeitraum eine betriebswirtschaftliche Form der Kostenrechnung
zu entwickeln, mit der sich bezogen auf das vergangene und die kommenden Jahre
die Sonderkosten beweisen lassen.
Von seiten des Innenministeriums
wird die Jährlichkeit genutzt, um die Beweislast der Behörde anheim
zu stellen. Nicht zu Beginn des Jahres, sondern erst am Ende wird über
eine Korrektur der Globalsumme verhandelt. Damit hat das Innenministerium eine
Zusage über die Korrektur der Globalsummenbemessung hinausgezögert.
In der Aushandlung der Globalsummenbemessung
sind Jährlichkeit und Verhandlungsstärke eng miteinander verbunden:
Während die Behörde einen beträchtlichen Teil ihrer Verhandlungstärke
verwirkt, weil sie innerhalb der Zeitspanne des einen Jahres ihre Sonderkosten
nicht als Minus darlegen kann, steigt die Stärke der Gegenpartei. Sie hat
das Jahr 'auf ihrer Seite' und setzt jetzt auf ein weiteres.
Luft oder Polster
Im Gegensatz zu Regeln, ohne die das
Spiel nicht gespielt werden kann, etwa die, das eine Runde ein Jahr dauert,
erweitern strategische Regeln den Verhandlungsspielraum, ohne dass sie unbedingt
gespielt werden müssen.
Eine bei den meisten Verhandlungen implizit
angewandte Regel ist die von 'Luft und Polstern'. Wer 'Luft' hat, hat Gestaltungsfreiräume.
Dazu ein Interviewzitat eines Haushaltsfachmanns:
"Früher bin ich
durch das Bundesgebiet gereist und habe beim Besuch von Fachverwaltungen dort
lautstark mit der sehr viel besseren Berliner Infrastruktur geprahlt. Seit
ich mir der Höhe der Budgetzuweisungen nicht mehr sicher bin, bin ich
ganz still geworden. Wer posaunt schon öffentlich heraus, dass die Infrastruktur
hervorragend ist, wenn es um Sparzwänge geht?"
Es ist das Ziel jeder Verwaltung genug
Luft zu behalten, um flexibel zu sein. Demgegenüber versuchen die Gegenspieler
im Budgetierungsspiel Polster auszumachen, die sich einsparen lassen, ohne dass
dadurch die Leistungen der Verwaltung gemindert werden. Was den einen die Luft
ist, ist den anderen das Polster.
Beispiel für das Entdecken von
Polstern sind in der Globalsummeneinführung die Gelder, die die Polizeibehörde
für die ihr genehmigten Stellen bekommt, ohne dass diese Stellen besetzt
sind. Das Ausmaß dieser Zahlungen wird erst mit der Umstellung auf andere
Kategorien der Personalkostendokumentation deutlich. Es wird von den dienstoberen
Behörden als Polster entdeckt, im Sinne von: Weil die Polizei ja keine
Geldprobleme habe, kann man sich mit der Aushandlung eines spezifischen Kostenschlüssels
für die kostenintensive Personalstruktur des Polizeipersonals Zeit lassen.
Wenn auch diese Logik nie Gegenstand
expliziter Verhandlungen würde, so ist die strategische Regel dennoch zentraler
Bestandteil von Budget-Verteilungsspielen..
Abwarten und Zupacken
Gleich nach Beginn der Globalsummenwirtschaft
wird ein Haushaltsstop ausgerufen, der die Finanzverantwortung den Fachverwaltungen
aus der Hand nimmt und dem Finanz- und Innenministerium überstellt. Als
der Haushaltsstop aufgehoben wird, geschieht das nur für wenige Stunden,
dann wird er wieder verhängt. So stellt das Jahr einen Wechsel zwischen
Haushaltsstop und Aufhebung desselben dar. Folgende Mitschrift von einem Gesprächsfetzen
unter Finanzexperten untermalt, wie damit umgegangen wird.
Ein Haushaltsfachmann fragt seinen
Kollegen aus einer anderen Fachverwaltung, wieviel Zeit sie für Personalveränderungen
zwischen zwei Haushaltsstops hatten."Wir hatten vier Stunden. Haben immerhin
drei Sachen über die Bühne gebracht. Und ihr?". "Wir hatten eineinhalb
Tage."
Was die flinken Schachzüge der Fachverwaltungen
sind, wird auch im Finanz- und Innenministerium registriert. So berichtet ein
Mitarbeiter aus dem Innenministerium, daß die ihm unterstehende Behörde
es soweit gebracht habe, mit einem Knopfdruck 1000 Stellenbesetzungen vorzunehmen,
die für den Zeitpunkt des Aufhebens vom Haushaltsstop vorprogrammiert waren.
Während Finanz- und Innenministerium
durch Haushaltsstops das Ausgabegebaren der Fachverwaltungen zu verlangsamen
suchen, stellen sich die Fachverwaltungen darauf ein, indem sie alle relevanten
Beförderungen und Einstellungen soweit vorbereiten, dass sie sie zum Zeitpunkt
der Aufhebung des Haushaltsstops kumulativ beantragen. Der strategische Umgang
mit den Zeiten des Finanzierens führt dazu, dass das Haushaltsjahr zu einer
Aneinanderreihung von Stop-and-Go wird.
Rollenverteilung
Ein dritter Typ von Regeln sind die des
fair play. Solche Regeln zum 'Geist des Spielens' ermöglichen, dass jede
Partei ihr Gesicht wahren kann.
Eine Regel, für die der öffentliche
Dienst ‚berühmt’ ist, handelt von folgender Rollenverteilung: Wer Finanzforderungen
stellt, bemisst diese höher als notwendig, weil ohnehin davon ausgegangen
werden kann, dass pauschal etwas davon abgezogen wird. Jede Seite weiß
um das Skript der anderen. Dieses alte Spiel hört nicht auf, weil Globalsummenwirtschaft
eingeführt wird. Im Gegenteil: Es ist für keine Partei möglich
aus dem Spiel ‚auszureißen’, weil jede ihrer Handlungen auf der lang gewachsenen
wechselseitigen Erwartungsfolie interpretiert wird. Wie diese Rollenverteilung
in der Globalsummenwirtschaft Ausdruck findet, zeigen folgende Äußerungen:
"Die (Polizei)Behörde hat die
Mentalität der 100%igen Reserve. In Behördenkreisen ist man der
Meinung, ihnen könne man nichts verwehren. Wenn es um die innere Sicherheit
in der Stadt gehe, dann müßten auch ihre Forderungen erfüllt
werden" (Aussage eines Mitarbeiters im Innenministerium).
"Das Ministerium ist sich der Größenordnungen
nicht bewusst, mit denen wir es im Fall einer Personalglobalsumme zu tun haben.
Die haben vor allem ein Interesse daran, die Verhandlungen möglichst
lange möglichst offen zu halten." (Aussage eines Mitarbeiters der Polizeibehörde)
Die verteilten Rollen werden dramaturgisch
und rhetorisch ausgestaltet. So gelangen die Maximalforderer 'an die Grenzen
der Belastbarkeit' (was das Sparen angeht), während die Minimalgeberinnen
'sich den Realitäten beugen' (was die katastrophale Finanzsituation des
Landes angeht).
Die Endlosregel
Eine fünfte und letzte Regel verdeutlicht
die Doppelbödigkeit von Formulierungen wie ‚Verabschiedung’ von Budgets,
‚Schließen des Haushaltsjahres’ etc.. Betrachtet man die Darstellung der
Globalsummengeschichte fällt auf, dass zu keinen Zeitpunkt geklärt
ist, wie die Rahmenbedingungen der Globalsummenwirtschaft nun aussehen. Anstelle
einer einmaligen ‚Implementierung’ lässt sich eher von einer periodischen
Ausgestaltung reden.
1.Als die Einführung von Globalsummen
politisch 'verordnet' wird, lässt sie Ausnahmeregelungen offen. Die Polizeibehörde
versteht sich als eine solche.
2.Das Innenministerium fordert für
diesen Ausnahmestatus Beweise, die bis Ende des Jahres erbracht sein sollen.
Die Bedingungen, unter denen die Beweise akzeptiert werden würden und die
Konsequenzen die daraus folgen, bleiben unklar und werden über das Jahr
hinweg immer wieder verhandelt.
3.Am Ende des Budgetjahres wird die Erfüllung
dieser Bedingungen im Lichte dessen beurteilt, dass die Polizeibehörde
trotz ihrer Sonderkosten nicht im Minus ist und dass die gesamtstädtische
Finanzlage schlecht ist.
4.Die Verhandlung von Sonder-Kostenschlüsseln
für Polizeipersonal wird verschoben auf das Ende des folgenden Jahres.
5.Rahmenbedingungen der Globalsumme sind
auch am Ende der zwei Jahre meiner Untersuchung immer noch Gegenstand der Aushandlung.
Das Endlosspielen wird in der
Einführung von Globalsummen von den Minimalgeberinnen so genutzt, dass
sie die Forderung nach mehr Geld auf die Zukunft und eine bessere Haushaltslage
verweist. Die Maximalforderer hingegen schaffen sich Gestaltungsspielraum, indem
sie auf in der Vergangenheit gegebene Finanzzusagen verweisen, die es in der
Zukunft umzusetzen gilt.
Entwicklungen im Spiel – erste Ergebnisse
Versteht man Budgetverhandlungen als Spiele, die im Laufe
vieler Jahre feste Regeln herausgebildet haben, und betrachtet, wie diese Regeln
durch die Reform beeinflusst werden, so zeigen sich folgende Veränderungen:
Vom Gestalten in Zeitspannen zum Gestalten von Zeitpunkten
Bisher war, wie die Regel ‚eine Runde dauert ein Jahr’
veranschaulicht, vom Haushalten im Sinne von Zeit-Spannen die Rede. Das Zusammenkommen
der Einführung von Globalsummen mit einer restriktiven Haushaltspolitik
führt dazu, dass das Haushalten nicht mehr in der Zeitspanne eines Jahres,
sondern nur zu einzelnen Zeitpunkten im Jahr vollzogen wird. Das eigentlich
als Notbremse gedachte Instrument des Haushaltsstops entwickelt sich zu einer
nun über zehn Jahre angewendeten und damit vorübergehend institutionalisierten
Form der Budgetierung. Das Wechselspiel vom Verhängen und Aufheben von
Haushaltsstops ist bestimmend dafür, wann die Fachverwaltungen und wann
das Finanz- und Innenministerium Einfluss auf die Budgetgestaltung haben. Die
Dezentralisierung der Haushaltsverantwortung hat also nicht zur Folge, dass
anstelle des Innen- und Finanzministeriums jetzt die Fachverwaltungen über
ihr Budget entscheiden, sondern dass die einen Ausgaben verzögern und die
anderen deren Tätigung zu beschleunigen suchen. Die Budgetierung als prozesshafte
Aktivität in der Zeitspanne eines Jahres wird überformt von der Budgetierung
als Aneinanderreihung von momenthaften Entscheidungen.
Frischer Wind
Mit einer durch elektronische und betriebswirtschaftliche
Gesichtspunkte beeinflussten Dokumentation von Personalkosten kommt frischer
Wind in ein altes Spiel um die Suche, Luft zu behalten und Polster in der Budgetierung
zu finden. Bereiche, die vormals durch Geld gar nicht abgebildet wurden, bieten
neue Verhandlungsspielräume, decken neue Polster auf und schaffen anderswo
Luft.
Die Hindernisse eingespielter Rollenverteilung
Die verteilten Rollen zeigen, wie gebunden die Akteure
an etablierte Muster des Verhandelns um Budgets sind. Die Rollenspiele zwischen
Maximalforderern und Minimalgebern sind für die Globalsummenentwicklung
ein großes Hindernis. Wie soll es zu einer neuen Verantwortungsverteilung
kommen, solange solche hierarchisch strukturierten Rezeptionsgewohnheiten noch
intakt sind? Die vielen Haushaltsstops tragen nicht dazu bei, dass die Fachverwaltungen
selber viel Verantwortung für ihr Ausgabegebaren übernehmen. Vielmehr
kommt es zu einer Abkopplung zwischen der Dramaturgie der Verhandlungen und
dem Umgehen mit den Budgets.
Tradierte Rollenmuster zu verändern, ist sicherlich
schwierig. Andeutungen einer solchen Entwicklung habe ich bisher nicht in Verhandlungen
zwischen Fachverwaltungen, wohl aber in Verhandlungen innerhalb von Fachverwaltungen
erlebt. Und zwar da, wo die Verwaltungseinheiten in gleicher Weise von der Finanzknappheit
bedroht waren und das System so übersichtlich war, dass jeder Bereich um
den Zustand der anderen genau Bescheid wusste.
Im Beispiel der Verhandlungen zwischen Innenministerium
und Polizeibehörde aber sind Hierarchien zwischen und in den beiden Verwaltungen
stark ausgeprägt, und in Anbetracht der Größe der Institutionen
kann von gegenseitiger Übersicht über die ressourcenmäßige
Ausstattung der anderen kaum die Rede sein. Damit tradierte Rollenverteilungen
sich hier aufweichen, müssen organisations- und strukturbezogene Veränderungen
greifen: Die Vereinheitlichung elektronisch vermittelter Dokumentation und betriebswirtschaftlicher
Kostenermittlung ist bereits ein erster Schritt in diese Richtung. Weitere Schritte
wären die Verminderung der funktionalen Aufgabendifferenz zwischen Innenministerium
und Polizeibehörde und die Verflachung der Hierarchien. Damit wären
zumindest organisationsstrukturelle Hilfestellungen gegeben, die es erleichtern,
vertraute Rezeptionsgewohnheiten aufzugeben.
Vom Modelldenken und Prozessmachen
Die Globalsummenreform ist von vielen Mitarbeitern als
Überrumplung empfunden worden. Immer wieder werden Vorwürfe laut,
dass die Modelle mangelhaft ausgearbeitet seien, die Vorbereitungszeit zu kurz
und die Bedingungen der Wirtschaft unklar. Die Endlos-Regel zeigt, dass sich
die Reform nicht 'von jetzt auf gleich' vollzieht. Eine instrumentelle Vorstellung
von Reformen erweist sich hier als kontraproduktiv. Das 'neue Steuerungsmodell'
mit seiner Rhetorik der Steuerung durch ökonomische Fakten und Instrumente
erzeugt eben solche Effekte: Es verschleiert die Gestaltungsspielräume
und die Komplexität des Reformprozesses.
Reformmodelle können die lokalen Spielregeln, Spielweisen
und Spielpotentiale in ihrer Wechselwirkung nicht vollständig im voraus
simulieren. Auch wenn es gute und schlechte Reformmodelle gibt, sie sind auf
jeden Fall zwangsläufig unvollständig. Entsprechend ist es produktiv,
den Reformprozess als langandauerndes, kleinteiliges Aushandeln verschiedenster
Reformaspekte zu verstehen. Dann läßt sich weniger von mangelhafter
Planung als vielmehr von der Notwendigkeit sprechen, dass Reformen erst durch
aktive und konstruktive Ausgestaltungsarbeit der Verwaltungen zu dem werden,
was sich ein Erfolg nennen kann.
Übersetzungsleistungen von der ethnographischen
Beobachtung zur ethnographischen Beratung
Das Verständnis von Verwaltungsarbeit verändern
Aus der ethnographischen Beschreibung, wie sie hier gegeben
wurde, lassen sich Empfehlungen an Politik wie an die Verwaltungen ableiten:
Die Darstellung von Budgetverhandlungen als Spiel hat gezeigt, dass Mitarbeiter
eine Vielzahl an Spielregeln, Spielweisen und Spielpotentialen in Bewegung setzen,
um die Globalsummeneinführung auszugestalten. Verwaltungsmitarbeiter sollten
ihre Arbeit nicht als Flickschusterei an einem schlecht ausgedachten Werk verstehen
müssen, sondern als notwendige und anspruchsvolle Ausgestaltungsarbeit
politischer Vorgaben.
Um ein solches konstruktives Verständnis von anspruchsvoller
Verwaltungsarbeit zu etablieren, muss sich allerdings etwas im Berufsbild der
Verwaltungsmitarbeiter im öffentlichen Dienst verändern. Nur einige
Aspekte seien hier genannt: In Verwaltungsbereichen, die viel Bürgerkontakt
haben, beginnen sich bereits die Vorteile flacher Hierarchien und personenbezogener
Verwaltungsarbeit durchzusetzen. Allerdings steht als Begründung dafür
das Argument im Vordergrund, dass dies 'kundenfreundlich' und 'transparent'
sei. Ein weiterer, ebenso wichtiger Aspekt solcher Organisationsveränderungen
ist aber, dass personengebundenere Aufgabenverantwortungen es den Mitarbeitern
ermöglichen, als Person mit eigenem Leistungsprofil in Erscheinung zu treten
und dafür auch Bestätigung zu erfahren. In den Verwaltungsbereichen,
die mit der inneren Verwaltung der Verwaltung, wie Finanzen und Personal beschäftigt
sind, ist diese Entwicklung noch nicht sehr weit vorangeschritten. Damit den
Mitarbeitern auch hier das Gefühl vermittelt wird, dass ihre Gestaltungsarbeit
nicht als informeller Zusatz, sondern als ausdrücklich erwünschte
und personenbezogene Leistung wertgeschätzt wird, muss auch hier eine Abkehr
vom Weberschen Ideal des Bürokraten stattfinden. Zu diesem Zweck müssen
politische Entscheidungen zur Strukturierung der Organisation getroffen werden:
so etwa die Verflachung der Hierarchien, andere Gehaltsstrukturen und die Rekrutierung
von Personal aus einer breiteren Fächerung von Berufszweigen.
Wann kann die Reform für abgeschlossen erklärt
werden?
Der Prozesscharakters von Reformen, der hier beschrieben
wurde, stellt sich der Vorstellung entgegen, dass Reformen sich als Zeitplan
mit Anfang und Ende von außen verordnen lassen. Die Antwort der ethnographischen
Reformberatung auf die einleitend aufgegriffene Frage eines Verwaltungsmitarbeiters
ob man die Reform jetzt nicht endlich für beendet erklären könne,
lautet: Der Abschluss der Reform kann nicht von Beratungsunternehmen bestimmt
werden, wohl aber kann die Beratung dazu wichtige Hilfestellungen leisten. Die
ethnographischen Beschreibungen einer zurückliegenden Zeitspanne lassen
sich mit dem aktuellen Zustand vergleichen. Von einem Reformende läßt
sich dann reden, wenn einzelne Aspekte kaum mehr in Frage gestellt, diskutiert
und problematisiert werden und somit als institutionalisiert gelten können.
Es ist zu erwarten, dass andere Aspekte der Reform dieses Stadium bis heute
nicht erreicht haben und es vielleicht auch gar nicht erreichen werden.
Das Ausrufen des Abschlusses einer Reform baut auf Vergleichsfolien
auf, die Beratungsunternehmen liefern können. Die Beurteilung vom Stand
der Reform aber kann nur als gemeinsame Leistung von Verwaltung und Beratung
begriffen werden.
Reflexionspotentiale erweitern
Ein letzter Punkt zur Vermittelbarkeit ethnographischer
Organisationsberatung: Beschreibungen des verwalterischen Tuns, die sich nicht
an rechtswissenschaftliche oder ökonomische Beschreibungsstandards anlehnen,
sind für Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung ungewohnt. Genau
darin liegen Chancen wie Schwierigkeiten. Chancen insofern, als ganz alltägliche
Praktiken, die den Mitarbeitern so selbstverständlich sind, dass sie der
eigenen Reflexion nicht mehr zugänglich sind, durch die distanzierte Beobachtung
in die bewusste 'Wahrnehmung' zurückgeholt werden. Es kann sich daraus
ein Zugriff auf Alltagsprobleme ergeben, der vorher unmöglich erschien.
Schwierigkeiten sind dadurch zu erwarten, dass die soziologische
Perspektive in einem juristisch dominierten Verwaltungssystem auf Befremden
stoßen wird. Darüber hinaus ist nicht damit zu rechnen, dass auf
jeder Ebene des Verwaltungsdienstes die Mitarbeiter mit der Abstraktheit der
hier beschriebenen verallgemeinerten Regeln umgehen können. Zu möglichen
Vorgehensweisen der Ent-Abstrahierung möchte hier nur spekulative Vorschläge
machen. Sie knüpfen an eine Management-Kultur an, die die Vorteile einer
vollkommen anderen Umgebung für die Distanzierung von gewohnten Denk- und
Handlungsgewohnheiten nutzt.
So könnte die Durchführung der Beratung in
einer Art 'outdoor-Seminaren' es ermöglichen, dass Mitarbeiter sich darauf
einlassen, Verhandlungsszenen 'zu spielen'. Auf der Grundlage solcher Rollenspiele
lassen sich gemeinsam Regeln der Verhandlung herausarbeiten. In dem Maße,
wie die Beschreibung der Regeln zur gemeinsamen Leistung wird, wird es einfacher,
Übersetzungen zwischen alltäglichen Arbeitssituationen und ihrer Regelgebundenheit
zu leisten. Und es wird leichter, die Ziele ethnographischer Organisationsberatung
zu verdeutlichen. Als solche verstehe ich das Entwickeln neuer Perspektiven
auf alltägliche Routinen und die Begleitung eines Prozesses der Veränderung,
der sich daraus ergeben kann.
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