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Alexandra Hessler, Hamburg

Wie man Unternehmer wird. Beratungskonzepte für Existenzgründer.

Ausgangsbeobachtungen

"Der Selbständige arbeitet selbst - und das ständig." Mit diesem Bonmot leitet ein Münchner Existenzgründerberater seine Informationsveranstaltungen ein, um deren Teilnehmer auf Kommendes einzustimmen. Reaktionen auf den von den Gründern auch selbst später oft zitierten Spruch sind leidvolles Nicken, verhaltenes Lächeln, Sarkasmus. Ständig arbeiten und für alles selbst verantwortlich sein, das muß man als Unternehmer schon aushalten können - darüber sind sich die Anwesenden einig. Geschäftspläne, Erwerbsbiographien, Alter und persönliche Erfolgsvorstellungen weichen dafür umso mehr voneinander ab: vom Tüftler, der Erfinder eines Open-Air-Pferdeanhängers ist, über den hoch verschuldeten Gründer einer Heilpraktikerschule, hin zum jungen Web-Designer und zur "umgesattelten" Stimmpädagogin reichen die "Berufe". Alle "irgendwie" Existenzgründer.

Was verbindet nun diese auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Menschen? Die Vision vom erfüllten, weil mit selbständiger Tätigkeit finanzierten Leben? Ein kollektives Leitbild, das Werte wie Unabhängigkeit, Mut, Optimismus oder Individualismus transportiert? Wenn ja: woher kommt dieses Bild und wie kommt es, daß Menschen aus den unterschiedlichsten Beweggründen sich offenbar davon angesprochen fühlen?

Diesen Fragen gehe ich derzeit im Rahmen eines volkskundlichen Forschungsprojektes mit dem Titel "Existenzgründer als Leitbild" nach. Materialbasis bilden Mehrfach-Interviews mit Gründern über ein Jahr hinweg, bei denen biographische Erfahrungen und Erwartungen an die (berufliche) Zukunft im Mittelpunkt stehen. Ein weiterer Quellenschwerpunkt sind Ratgeberliteratur und Medientexte.

Daß ein Bild von "dem" Existenzgründer im öffentlichen Bewußtsein vorhanden ist, das nicht nur von den Medien, sondern auch von "Beratern" im weitesten Sinne transportiert wird - also auch von Ratgeberliteratur, auf die ich mich im Folgenden konzentiere - ist eine These, die ich heute zur Diskussion stellen möchte. Ich gehe hierbei davon aus, daß dieses Leitbild (oder besser: ein aus mehreren Motiven zusammengesetztes Leitbild) die individuelle Gestaltung einer beruflich eigenständigen Existenz - wenn auch unbewußt - unter Umständen erheblich beeinflußen kann.

Dieses Leitbild greift vor allem in dem Moment, in dem Existenzgründer mit öffentlichen Institutionen wie etwa einer kreditgebenden Bank zu tun bekommen: Banken arbeiten z.T. nach sehr schematischen Bewertungsbögen, mit denen zu begutachtende Geschäftsmodelle regelrecht "benotet" werden können. Weicht die persönliche Planung eines Gründers zu sehr von dem vorgegeben Raster ab, stößt das mitunter auf erhebliche Widerstände, benötigte Kredite werden nicht gewährt, vom Aufbau eines eigenen Unternehmens wird abgeraten. In manchen Fällen ist eine gewisse Skepsis (gerade von Seiten potentieller Geldgeber) natürlich angebracht und sinnvoll. Anderseits verhindert ein normierendes Leitbild eine unvoreingenommene Sichtweise auf individuelle Modelle und damit auf "alternative", für den Einzelnen alltagspraktische Lebensentwürfe.

Die von mir befragten Gründern monierten, daß ihre Berater den biographischen Rahmenbedingungen oft nur wenig Aufmerksamkeit schenkten, zu sehr seien sie von dem Bild "jung, dynamisch, erfolgreich" geprägt und würden ständig nach einer Art "Super-Gründer" Ausschau halten. Diese These läßt sich belegen: "Ob es ein Gründer-Gen gibt?" fragt völlig ernsthaft der Herausgeber des Newsletters "Der Gründerberater". Sein Vorschlag: "Untersuchungen zum Thema ‘Gründertypen’ gibt es eine ganze Reihe. Da müßte es doch möglich sein, langfristig jedenfalls, Menschen mit besonderen Ideen zu ‘kreieren’, die für Innovationen veranlagt sind?!"

 

Das Leitbild "Existenzgründer" in der Ratgeberliteratur

Leitbilder können sich in fast schon mythischen, weil besonders "heldenhaften" Figuren manifestieren, wie etwa Klara Löffler für "die" Unternehmerin nachgezeichnet hat. Der Unternehmerin werden besonders positive Charaktereigenschaften zugeschrieben, die vor allem durch "Erfolgs-Stories" in Medientexten transportiert werden. Löffler charakterisiert diese als "Geschichten vom guten Beispiel": "Dabei ging und geht es bis heute um den Versuch, Lebenslauf und unternehmerische Tätigkeit zu synchronisieren in der Darstellung einer vorbildlichen Erfolgsgeschichte eines Mannes (oder einer Frau), der (die) sein (ihr) Leben mutig in die Hand genommen und sich mit allen Konsequenzen, Chancen und auch Risiken selbständig gemacht hat."

Ähnliches scheint für die Figur des Existenzgründers zu gelten: zu finden ist sie in popularen Medientexten wie Presseberichten und vor allem in Sachbüchern und Ratgeberliteratur. Beratungskonzepte sowohl öffentlicher Organisationen (z.B. Arbeitsamt) als auch privater Institutionen (z.B. privatwirtschaftliche Beratungsunternehmen) arbeiten ausgehend von solchen Mustern und wirken in die Texte zurück. Die Autoren von Ratgebertexten kommen oft selbst aus der Beratungsbranche und sind freiberuflich tätig. Die meisten verfügen über eine betriebswirtschaftliche Ausbildung. Manchmal handelt es sich auch um Professoren/Hochschuldozenten aus dem Bereich Betriebswirtschaft. Zum Teil basieren die Ratgeber auf Erfahrungsberichten, was allerdings eher die Ausnahme darstellt. (Auffällig häufig richten sich solche eher persönlich gehaltenen Werke speziell an Frauen.)

Die Ratgeberliteratur zum Thema scheint zwar breit angelegt und ist in der Backlist fast aller Sachbuch- und Wirtschaftsverlage vertreten, variiert letztlich aber immer nur ein Modell von Existenzgründung: die langfristig hauptberufliche, auf (finanzielles und personelles) Wachstum angelegte Unternehmensgründung, mit (staatlich subventioniertem) Kredit in einer "bekannten" Branche. (Dazu läßt sich auch die sogenannte "New Economy" zählen, die ja mittlerweile in aller Munde ist.) Eine Klassifizierung nach differenzierteren Zielgruppen ist so gut wie unmöglich.

Allgemeine Publikationen nach dem Motto "Existenzgründung. Von der Geschäftsidee zum sicheren Erfolg" sind am häufigsten, dann (deutlich weniger) Ratgeber zu speziellen Themen (z.B. Steuern für Exgr.), oder zu Spezialbereichen (Franchise, Wie gründe ich ein Beratungs-/...unternehmen). Fachbuchverlage haben sich der Thematik seit etwa Mitte der 1980er Jahren angenommen, seit Ende der 1990er Jahre sind auch populäre Sachbuchverlage mit Veröffentlichungen vertreten, die von der programmatischen Einbindung her nicht selten in den Bereich "Lebensberatung" fallen.

Die Unterscheidung in Sachbuch und Fachbuch ist allerdings nur hinsichtlich der Tiefe der dargestellten Themen von Bedeutung, die abgehandelten Bereiche selbst bleiben gleich. Im Mittelpunkt steht durchgängig die Ausarbeitung eines Geschäftsplanes/Business Planes (das ist eine Art DFG-Antrag für Existenzgründer). Alle Ratgeber verfügen dazu über einen betriebswirtschaftlichen Teil mit Rechenbeispielen, die meisten enthalten rechtlich fundierte Angaben zu Geschäftsformen und (steuer)rechtlichen Regelungen. Der inhaltliche Aufbau folgt dabei fast immer der Linie "die richtige Persönlichkeit - der richtige Markt - die richtige Rechtsform - die richtige Finanzierung - Mitarbeiter". Abschluß bildet meist ein Anhang mit weiterführender Literatur oder nützlichen Adressen (von Kammern, Verbänden usw.). Selbst Themen wie "Venture Capital" oder "Bilanzierung", die eigentlich erst Unternehmungen ab einer bestimmten Größenordnung betreffen, werden relativ homogen abgehandelt - eben auch von den in populären Sachbuchverlagen erscheinenden Büchern.

Die Ratgeberliteratur zum Thema "Existenzgründung" läßt sich demanch als tendenziell extrem standardisiert beschreiben.

Auch die Bildlore variiert nur wenige Motive (Illlustrationen gibt es fast nur auf den Covern, selten sind Bücher mit Bebilderung im Inneren, höchstens Tabellen oder grafische Elemente):

  • Anzug/Kostüm -> "business look" (+ Büro) (Westphal 1997; Starthilfe 1996)
  • Bleistift/Telefon/Taschenrechner/Rechnungsbuch etc. -> Büro-Utensilien (Plusminus 1998; Erfolgreich... 1998; Frauen machen Geschäfte 1995)
  • Büro + Menschen bei der Arbeit (an PC oder Telefon) (Handbuch... 1999; Selbständig mit Zukunft 1999)
  • Dynamik durch Sportler dargestellt: Kanufahrer, Hürdenläufer, Zielscheib ... (Ratgeber Ex. 1998; Soll ich... 1997; Survival 1992)
  • "Wachstumspfeil" (Ratgeber Ex. 1998; Soll ich... 1997)
  • gehende Menschen (beschwingt ausschreitend) (Frau macht... 1996) -> "Menschen auf dem Weg"
  • Pflanzenmotive (Aschenputtel pflanzt Bäumchen (5-pf-Stück): Erfolgreich... 1996)

weitere:

  • Bausteine (IHK-Broschüre ??)
  • Wegweiser/Kompaß (Sicher... 2000; Wege und Tips 1997)
  • oder schlicht: Geld (Handbuch... 1999)

 

3. "Die ideale Gründerpersönlichkeit"

Am auffälligsten ist eine Fokussierung der Ratgeberliteratur auf die sogenannte "ideale Gründerpersönlichkeit", die durchgängig bereits in Einleitung und/oder erstem Kapitel beschrieben wird. Interessanterweise variiert die Darstellung der "idealen Persönlichkeitsmerkmale" ebensowenig, wie die als optimal beschriebenen Finanzierungsmodelle (Eigenkapital + (Förder)kredit), auch dann nicht, wenn sich die entsprechenden Ratgeber explizit an "Kleinstunternehmer" wenden.

Hier überschneidet sich die Ratgeber- mit der Forschungsliteratur: vor allem von Seiten der Organisationspsychologie, aber auch von Betriebswirtschaftswissenschaftlern wird seit einiger Zeit verstärkt nach den ausschlaggebenden Determinaten für "Erfolg" in Gründerbiographien und Charakterbeschreibungen gesucht, die in der wissenschaftlichen Erforschung einer als tatsächlich als ideal vorausgesetzten Gründerpersönlichkeit kulminiert.

In dem Band "Erfolgsgeschichten selber schreiben" von 1998 etwa vermischen sich individuelle Success-Stories (z.B von Anita Roddick, der Gründerin des "Body Shop" oder Martin Imdahl, Gründer der "Chiemsee AG") mit theoretischen Überlegungen zu eben jener idealen Gründerpersönlichkeit, sowie mit praktischen Anleitungen zum "richtigen" Vorgehen bei der Existenzgründung (wobei auch hier wieder die gängigen Topoi zu finden sind). Dabei wird in der Einführung das (wissenschaftlich fundierte) Konstrukt des "Gründungsgenerators" beschrieben. Dieser bildet das "ideale Persönlichkeitsprofil" eines Existenzgründers ab, so die Herausgeber Wolfgang Jenewein und Helmut Dinger, zwei Betriebswirtschafts-wissenschaftler von der renomierten Universtität St. Gallen. Obwohl die Autoren zwar betonen, daß es "keine allgemeingültige Checkliste geben (kann), die alle benötigten Merkmale [für einen erfolgreichen Gründer, A.H.] vollständig erfaßt", so lassen sie sich dennoch nicht davon abhalten, die "entscheidenden Charakterzüge" aufzuführen, die sie bei den von ihnen analysierten Erfolgsgeschichten "entdeckt" haben und die sie zum Modell des Gründungsgenerators geführt haben. Dazu gehören etwa "der unumstößliche Wille, es zu schaffen" ebenso, wie "Offenheit und Sensibilität", "Sozialkompetenz" oder "Improvisationsfähigkeit". Die mehrseitigen Ausführungen zu diesen Charaktereigenschaften sind Gemeinplätze und finden sich so oder ähnlich quasi in allen Publikationen.

Es scheint, als liege gerade in der formelhaften Beschwörung bestimmter "Schlüssel-Eigenschaften" ein zentrales Element für die Bildung eines Leitbildes. Bezeichnenderweise werden für die richtige Mischung auch immer wieder "Rezepte" gegeben.

Dabei sind sich die einzelnen Ratgeber und Gründerforscher darüber uneinig, ob diese Eigenschaften erlern- und/oder trainierbar sind, oder nicht. Gemein ist vielen Ratgeberbüchern, daß sie vorgeben, die Eignung zum Gründer könne sich mit Hilfe von Checklisten oder Persönlichkeitstests ermittlen lassen. Diese Tests funktionieren meist nach einem simplen Schema, bei dem es darum geht, entweder auf möglichst viele Fragen eine postitive Antwort geben zu können (im Sinne von "Haben Sie Führungserfahrung?" oder "Sind Sie risikobereit?") oder möglichst viele Punkte durch die "richtigen" (vorgegebenen) Antworten zu erhalten (im Sinne von "Wie oft waren Sie im letzten Jahr krank?" - Höchste Punktzahl für keinmal). Auch hier fällt auf, daß die Konzeption der Tests ungemein platt ist: So wird etwa nicht hinterfragt, ob die Kategorie "Krankheit in der Vergangenheit" tatsächlich maßgeblich für die zukünftige Selbständigkeit ist. (Es könnte ja sein, daß jemand aufgrund von Mobbing oder schlechter Bedingungen am Arbeitsplatz häufig krank war, und dessen Gesundheitszustand sich aufgrund einer selbständigen Tätigkeit ohne Chef verbessern würde).

Den Lesern wird eindringlich nahegelegt, bei der Beantwortung der Testfragen nicht zu "schummeln", um das Ergebnis nicht zu verzerren. Denn es wäre schlimm, wenn jemand Existenzgründer würde, der dazu nicht geeignet ist: "Vermeiden Sie eine gescheiterte Existenzgründung" empfiehlt etwa das "Handbuch Existenzgründung" (Handbuch Existenzgründung 1999, S. 2). Oder es wird gewarnt: "Wenn Ihre Antworten ehrlich sind, ist das Ergebnis aussagekräftig. Falls Sie sich etwas vormachen, werden Sie Überraschungen erleben." (Soll ich mich selbst. machen? 1997, S. 45). Bei "Nichtbestehen" der Tests wird als Alternative etwas im Sinne vorgeschlagen von: "Es wird besser sein, sich eine gut bezahlte Arbeits- und Führunggstelle in einem renommierten Unternehmen zu suchen." (Wege und Tips... 1997, S. 21).

Herausgestellt wird außerdem die Arbeitszeit von mindestens 12-14 Stunden täglich, bzw. 60 Stunden wöchentlich [was erstaunt, denn: 7x14=70!]. Meist wird mit einer Frage direkt auf diese Anforderung der Selbständigkeit hingewiesen und gefragt: "Sind Sie bereit, zumindest in den ersten Jahren 60 und mehr Stunden [bis zu 7x14=98?!] pro Woche zu arbeiten?" (Starthilfe 1996, S. 19). Insgesamt wird als eine "richtige" Charaktereigenschaft des Existenzgründers immer wieder dessen hohe Opferbereitschaft betont, etwa indem er "jahrelang auf Freizeitfreuden verzichten" muß (Wege und Tips... 1997, S. 14).

Anderseits herrscht in der Existenzgründer-Literatur ein mitreißend-euphorischer Ton vor, der sich nicht selten Metaphern aus dem Bereich Abenteuer/Expedition/Reise bedient. Das erste Geschäftsjahr wird z.B. zur "spannendsten Zeit ihres Lebens" (Survival [Hervorhebung A.H.] für Existenzgründer 1992, S. 16). Oder: "für einen angehenden Unternehmer bedeutet die Gründung eines Unternehmens ein persönliches und finanziell befriedigendes Abenteuer [Hervorhebung A.H.] - es ist für ihn eine Chance ‘es der Welt zu zeigen’, etwas aus dem Nichts aufzubauen, das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen, Unabhängigkeit zu erlangen und selbständig zu arbeiten, ein echtes Bedürfnis der Gemeinschaft zu befriedigen, als Persönlichkeit zu wachsen und in der eigenen unternehmerischen Perspektive von niemandem eingeschränkt zu werden." (Existenzgründung leichtgemacht, S. 8. Kap. "Das Wesen des Unternehmertums und des Unternehmensgründers").

Fast schon programmatische Floskeln und bisweilen eine eindeutig elitäre oder quasi-militärische "Anspornrhethorik" beherrschen selbst die nüchterneren Bücher: "Wer ein Unternehmen, gleich welcher Größe, gründet, muß willens sein, härter zu arbeiten, als er das je in einer angestellten Tätigkeit tun müßte" (Wege und Tips zur Existenzgründung, 6. Auflage 1997, S. 14). Auch die Abgrenzung zum Angestellten als Gegenpol ist auffällig. Es wird so getan, als sei dieser als "Durchschnittsmensch" sehr viel unengagierter und weniger leistungsbereit als der Existenzgründer - was die Realität verzerrt, denkt man nur an die hohen Anforderungen, die an heutige Angestellte gestellt werden und denen jemand unter Umständen gerade durch eine selbständige Tätigkeit entkommen möchte.

Bei allen diesen Ausführungen wird der Realismus der Darstellung betont: So weisen viele Ratgeber bereits im Vorwort oder in der Einleitung darauf hin, wie schwer es der zukünftige Unternehmer haben wird und daß er oder sie sich keine Illusionen über die Härte des Kommenden machen darf. Einführungen weisen nach dem Motto "Was dieses Buch nicht [Hervorhebung im Original, A.H.] ist" oft darauf hin, daß es keinen "Wegweiser zu schnellem Reichtum" gibt. Vielmehr wird aufgeklärt: "Wer ein Kleinunternehmen besitzt und führt, muß hart arbeiten [Hervorhebung im Original, A.H.]. Und er muß intelligent [Hervorhebung im Original, A.H.] arbeiten. Dieses Buch wird diesbezüglich keinen Illusionen Vorschub leisten."

Mit diesen Warnungen sollen offenbar "Ungeeinete" abgeschreckt werden - der ideale Existenzgründer scheint eine Art elitärer Übermensch zu sein: Ohne Familie, ohne Zweifel, ohne Schwächen, nie krank etc.

 

Wie wirkt das Leitbild vom Existenzgründer auf reale Gründer?

Warum aber wird nun diese ideale Gründerpersönlichkeit so vehement in Ratgebertexten ausgebreitet? Ein Bedarf an derlei scheint bei der Zielgruppe nicht zu bestehen, im Gegenteil: Die von mir befragten Existenzgründer betonten, daß sie eben kaum Ratgeber konsultierten, da die vorgegebenen Muster in keiner Weise realitätsnah seien (auch wenn interessanterweise bestimmte Elemente wie z.B. die Arbeitszeit von 60-Stunden in der Woche in den Erzählungen beständig reproduziert werden). Den Gründern meines Samples war aufgefallen, daß das Genre "Erfolgsstory" eher dem Bereich der Fiktionalität zuzuordnen ist. Daher rührt wohl auch eine gewisse Enttäuschung, die viele Gründer formulierten, wenn sie über ihre Berater sprachen: sie fühlten sich mit ihren Vorhaben nicht immer ernstgenommen (Stichwort: "ich bin eigentlich kein richtiger Exgr.", z.B. bei Handelsvertretung oder Geschäftsübernahme).

Beratungskonzepte für Existenzgründer vermitteln (zumindest in der Ratgeberliteratur) Erfolgsmodelle, die mit individuellen Erfahrungen und Erwartungen mitunter nur wenig zu tun haben.

Es scheint so zu sein, daß hier von institutioneller Seite ein Bedarf gesehen wird, der beim "Verbraucher" so gar nicht besteht. Auffällig ist in diesem Zusammenhang das über die reinen Printmedien hinausreichende unüberschaubare Angebot an speziellen Existenzgründer-Internetportalen, -Fernsehsendungen, -Messen, -Wettbewerben, -Seminaren, -Büros und -Beratern bis hin zu übergreifenden staatlichen Programmen, das in den letzten Jahren geradezu explodierte. Mittlerweile beschäftigen sich offensichtlich wesentlich mehr Menschen mit der Beratung von Existenzgründern, als sich tatsächlich selbständig machen. Das ist sicher in erster Linie politisch motiviert - Stichwort: endlich wieder "Gründerboom in Deutschland".

Ein weiterer Grund ist komplementär dazu darin zu sehen, daß sich in den letzten Jahren tatsächlich ein gesellschaftliche Bedürfnis nach neuen (?) beruflichen Leitbildern gebildet hat. Denn angesichts des sich umstrukturierenden Arbeitsmarktes scheinen "traditionelle" Erwerbsbiographien immer weniger lebbar zu sein.

 

Ausblick: Erwerbsbiographie und Beratung - ein möglicher Ansatz?

Erwerbsbiographien wurden aus volkskundlicher Perspektive bislang ausschließlich retrospektiv untersucht: mit Hilfe von biographischen Interviews wurden Wege und die jeweiligen Befindlichkeiten rekonstruiert. Zukunft wurde dabei nicht als Bestandteil biographischen Erzählens gesehen, da sie ja noch nicht erfahren und damit nicht erinnerbar ist. Die Planung der Erwerbsbiographie dagegen ist prospektiv ausgerichtet. Ulrich Beck betont den modernen Zwang zur "Selbstthematisierung" der Biographie, die bestenfalls in die "Selbstverwirklichung" mündet. Selbstverwirklichung - und die retro- und prospektive Reflexion darüber - ist ein zentrales Thema in biographischen Erzählungen und damit verknüpften Zukunftsentwürfen von Existenzgründern. Selbstverwirklichung wird als erstrebenswertes Ziel und damit als Maßstab für Erfolg gesehen, so, wie es das kulturelle Leitbild letztlich vorgibt.

Ein volkskundlicher Ansatz in der Beratung von Existenzgründern kann mit einem Leibild verknüpfte Werte hinterfragen und jeweils individuelle alltagspraktische Bedürfnisse der Gründer, aber auch deren Kunden, Mitarbeiter etc. in den Aufbau eines Geschäftsmodells und in die Erfolgsplanung mit einbeziehen. Ausgehend von biographischen Erfahrungen können daran gebundene Zukunftserwartungen realistisch eingeschätzt werden. Existenzgründer könnten unter stärkerer Bezugnahme auf ihre konkreten Lebenswirklichkeiten umfassender als bisher beraten werden.


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